Moonlight (Reingeschaut + Interview mit Olad Aden)

24. August 2017
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Von diesem Film habe ich tatsächlich einiges erwartet, er wurde nicht nur von der Presse nahezu durchweg in den höchsten Tönen gelobt, sondern erhielt auch drei Oscars® (Bester Film, Bester Nebendarsteller und Bestes adaptiertes Drehbuch) und demnach war ich schon gespannt auf die Geschichte von Chiron.

In Moonlight begleitet man Chiron in drei Etappen seines Lebens, erst als Kind (Little), dann als Teenager (Chiron) und als Erwachsener (Black). Die unterschiedlichen Namen zeigen auch, dass er sich entwickelt, vom schüchternen kleinen Jungen, der gerne verprügelt wird über einen Teenager, der seine ersten Erfahrungen in vielen Dingen sammelt bis hin zum Mann, der weiß, dass er sich durchsetzen muss.

Worum geht es?

Moonlight erzählt die Geschichte von Chiron, der in einem Problemviertel am Stadtrand von Miami aufwächst. Der Film zeigt die entscheidenden Momente in Chirons Leben von der Kindheit bis hin ins Erwachsenenalter, in denen er sich selbst entdeckt, für seinen Platz in der Welt kämpft, seine große Liebe findet und wieder verliert.

Regisseur Barry Jenkins hat hier wirklich ein Meisterwerk geschaffen und das Trio von Newcomern, welches die Hauptfigur Chiron in den verschiedenen Lebensphasen verkörpert, ist wirklich großartig, jeder auf seine Weise!

Die Bilder sind fantastisch, der Film ist äußerst ruhig & fesselnd und der Soundtrack gefällt mir richtig gut. Moonlight ist eine klare Empfehlung aus dem ZoomLab.

Trailer

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Interview mit Olad Aden

Olad Aden ist Streetworker und DJ mit deutsch-afrikanisch-amerikanischen Wurzeln. Mitten in Berlin betreut er mit der Gangway e.V. Jugendliche, die auf der Straße leben und Flüchtlinge, die durch das soziale Netz fallen. Viele dieser Jugendlichen kennen sogar die Jugendstrafanstalt von innen und blicken auf eine düstere Vergangenheit. Mit ihnen erarbeitet er Zukunftsperspektiven oder eben einen Plan B, wenn der Wunsch, als nächster Rapstar durchzustarten, vielleicht doch nicht klappt. Er initiiert Hip Hop Projekte sowie Reisen nach Amerika, und seine Eindrücke spiegeln sich auch in der Hauptfigur Chiron aus MOONLIGHT wieder.

Olad, was sind deine generellen Eindrücke vom Film?

MOONLIGHT ist ein Meisterwerk, ich habe ihn mehrere Male gesehen und er hat mich sehr berührt. Er greift relativ viele Themen auf, die ich auch in meiner Vergangenheit so erlebt habe. Als ich mein erstes Apartment gemietet habe, waren noch Einschusslöcher in den Wänden. Das war das Billigste und Einzige, was ich mir leisten konnte. Im Frühling und im Sommer waren die Straßen voller Drogendealer, einer war auch direkt vor meinem Haus, sowie Prostitution, die allgegenwärtig war. Oftmals werden solche Umstände romantisiert und nicht so wiedergegeben wie sie wirklich sind. MOONLIGHT hingegen gibt diese Umstände sehr authentisch wieder.

Hast du vielleicht eine Szene, die dich besonders beeindruckt hat?

Die Aussage, die Chiron am Ende trifft, dass er nie von einem anderen Mann berührt wurde, außer von Kevin am Strand, fand ich am beeindruckendsten. Er ist in dieser Welt so gefangen, dass er seinen Gefühlen gar nicht nachkommen konnte, wobei ich davon ausgehe, dass es ganz vielen Menschen so geht.

Du pendelst zwischen vielen Orten, v.a. den USA und Deutschland. In MOONLIGHT werden die schwierigen Verhältnisse in einem Vorort von Miami dargestellt. Wie unterschiedlich definiert sich denn diese Gewalt zwischen den beiden Ländern?

Die Hauptunterschiede ergeben sich eigentlich aus den Sozialsystemen. Jugendliche in Deutschland besitzen immer noch das Nötigste und bekommen Sozialleistungen. In Amerika haben sie oftmals nicht einmal etwas zu essen, sind hungrig und finden nachts keine Unterkunft. Zudem sind Jugendliche in Berlin sehr laut, teilweise auch aggressiv, aber es steckt gar nicht so viel dahinter, außer vielleicht mal eine Schlägerei oder manchmal auch Messerstecherei. In Amerika ist das eigentlich anders herum, sie sind nicht so laut, wie man auf den ersten Blick denken würde. Aber wenn es eskaliert, dann meistens richtig. Alleine schon deswegen, weil alle Zugriff auf Waffen haben, die gibt es an jeder Straßenecke zu kaufen. Deswegen funktioniert Straßensozialarbeit in Amerika auch anders als in Deutschland. Dort arbeiten die Straßensozialarbeiter oft mit der Polizei zusammen, weil wenn etwas passiert und niemand schnell etwas unternimmt, gibt es wahrscheinlich Tote. In Deutschland dagegen würden Sozialarbeiter überhaupt nicht mit der Polizei zusammen arbeiten oder gar mit ihnen reden.

Im Film fehlt dem jungen Chiron eine Vaterfigur. Man erfährt nicht, wo sein leiblicher Vater ist. Als er Juan kennen lernt, hat er einerseits Angst vor ihm, aber ist auch fasziniert. Suchen Jugendliche, die du kennen gelernt hast, häufig solche „Vaterfiguren“?

Auf der Straße ersetzt ihre Gruppe die Familie, die einen wahnsinnigen Wert hat. Unser Ansatz ist es, diese Gruppe nicht zu spalten, sondern mit ihnen als Ganzes zu arbeiten. Die Jungs leben ihr Rollenverhalten, um sich dem Standing der Gruppe anzupassen. Wenn man diese harte Schale durchbrochen hat und zu ihnen durchgebrochen ist, kann man viel bewirken. Gerade da fängt es an, in die Richtung einer Vaterfigur zu gehen, weil sie eigentlich keine Ansprechpartner haben.

Hast du ebenfalls in Deutschland Menschen wie Juan im Film erlebt. Die sich uneigennützig für andere einsetzen?

Viele der Ehemaligen saßen früher in Haft und wir haben in Workshops mit ihnen gearbeitet, mitten in der Strafvollzugsanstalt. Sie wollen den Jugendlichen, die da sind, wo sie früher einmal waren, unbedingt helfen. In unseren Projekten unterstützen sie uns als Dozenten, um das, was sie gelernt haben, weiterzugeben. Das hat nochmal eine ganz andere Wirkung, sie werden viel ernster genommen.

MOONLIGHT behandelt die Frage nach der eigenen Identität: „Wer bin ich und wer will ich sein?“ Wie gehst du mit diesen Fragen in deiner Arbeit um?

Wir setzen viel über Musik um. Wir haben zwei Studios und haben ziemlich viele Ressourcen, um Jugendlichen beizubringen, wie man Musik auf professionellem Level produziert. Gerade in der Rap-Sparte ist das ein ziemlich interessantes Phänomen. Am Anfang posen die Jugendlichen oft ganz hart und schreiben Rap-Tracks über ihre „AK47“ und „die Bitches“, alles Märchen, die sie aus irgendwelchen Filmen haben. Unser Ansatz ist aber der, dass wir nichts zensieren und sie aufnehmen dürfen, was sie wollen. Aber die Geschichten, die sie erzählen, müssen einen echten Ansatz haben. Da entsteht dann oft der Punkt, dass sie merken, wie viel sie über sich und ihren Kiez zu erzählen haben. Aber sie merken auch, wie schwer es eigentlich ist, sowas in Zeilen zu verpacken.

Im Film baut sich der ältere Chiron einen Schutzpanzer, eine Maskerade auf. Was braucht es denn, dass diese Menschen ihre Maske auch nach außen hin fallen lassen können?

Wir arbeiten mit Jugendlichen, die auf der Straße für die Menschen unerreichbar wirken. Durch die Projekte, die Workshops und das Vertrauen, das wir zu ihnen aufbauen, entsteht ein ganz anderes Verhältnis. Jeder spielt seine Rolle, weil man ja keine Schwäche zeigen darf. In Amerika findet man das so auch wieder. Das ist so ein bisschen diese Prison Mentality, wie auch Chiron am Ende aussieht, denn er ist ja nicht wirklich hart im Inneren, sondern nur im Außen. Das ist so ein internationales Phänomen. Das Hinterfragen fängt meistens auf der Beziehungsebene an. Sie müssen immer wieder in Situationen kommen, wo sie offen mit Erwachsenen sprechen oder mit Leuten, die eine andere Meinung haben und dann sind sie auch in der Lage, Sachen zu hinterfragen, anzuzweifeln und Denkprozess wird angeregt

Ein weiterer Aspekt des Films ist Homosexualität und die Anfeindung, die Homosexuelle erleben. Homophobie zieht sich zwar durch die gesamte Gesellschaft, ist aber gerade in sozialen Brennprunkten verstärkt. Sie geht oftmals über unreflektierten, jugendlichen Sprachgebrauch hinaus, sondern ist auch Ausdruck eines fest verankerten, heteronormativen Rollenbilds vom „starken Mann“. Wie siehst du die Situation in Deutschland?

Das ist nach wie vor der schwierigste Lifestyle, den ich mir vorstellen könnte. Wenn einer der Jungs einen homophoben Spruch reißt und ich ihm erzähle: „Wenn meine Tochter mit einem anderen Mädel verliebt nach Hause kommt und sie ist glücklich, dann ist doch alles gut. Aber wenn sie mit dir nach Hause kommen würde, dann würden wir aneinander geraten.“ – dann lachen wir zwar darüber, weil wir ein gutes Verhältnis zueinander haben. Aber er weiß auch, dass das ein Stück weit ernst gemeint ist und das regt ihn zum Nachdenken an. Aber auch wenn ich mit Gruppen in Chelsea bin, der Gay-Hochburg von New York, verändert das ihre Wahrnehmung. Jede Bar, jede Kneipe ist gay und da können sie auch keine homophoben Sprüche machen. Meistens bringen sie Homosexualität mit Schwäche in Verbindung. Wenn an jeder Ecke in Chelsea aber auch eine Fitnessbude ist und die Leute, die dort leben, bei weitem breiter gebaut sind als sie, finden sie sich nochmal in einer ganz anderen Situation wieder.

Gerade in dem Moment, als sich Chiron gegen seine Peiniger wehrt, kommt er ins Gefängnis. Er erlebt damit seine erste große Enttäuschung. Sind Jugendliche nicht häufig in derartigen Situationen?

Wie Chiron sich in MOONLIGHT wehrt, ist relativ unüblich. Menschen, die einer Zielscheibe ähneln und misshandelt werden, wehren sich nicht in diesem Maße. Bis auf die Extremfälle, wie z.B. Amokläufe in Schulen oder Einkaufszentren, die immer wieder nach Jahren des Mobbings vorkommen. Wobei natürlich nicht jeder Amokläufer gemobbt wurde. In der Regel verletzten sie sich eher selber. Viele nehmen sich auch das Leben. Die schlimmsten Beispiele kommen dabei leider immer aus Amerika. Vor einem Jahr hat sich ein 12-Jähriger von einem Turm gestürzt. In seinem Handy hat man zahlreiche SMS gefunden, mit den Worten „Bring dich doch um“ und „Du bist nichts wert“. Zum Schluss hat er es gemacht und die Eltern hatten keine Ahnung. Ein Problem dafür ist heutzutage auch das Cyber-Mobbing, weil du per Handy und Internet immer erreichbar bist und dich auf dem Nachhauseweg nicht einfach absetzen kannst.

Am Ende wird Chiron selber zu einem Dealer. Erlebst du ebenfalls solche Biographien, bei denen du versucht hast zu helfen, aber die Kids doch wieder auf die schiefe Bahn kommen?

Das passiert regelmäßig. Die Rückfallrate liegt bei über 50% und ähnelt einer Art Drehtür. Schwierig wird es vor allem, wenn ich den Jugendlichen, die aus dem Knast kommen, keine Perspektiven geben kann, weil sie hier gar nicht gewünscht sind. Diverse Gangs rekrutieren Jugendliche, die an der Ecke stehen und das Bedürfnis nach Anerkennung haben, auch fürs organisierte Verbrechen. Sie werden losgeschickt, um kleine Deals oder die Drecksarbeit für die Gangs zu machen und kommen dafür manchmal auch in den Knast.

Was denkst du, kann ein solcher Film, wie „Moonlight“ bewirken? Nutzt du Filme auch für deine Arbeit?

MOONLIGHT regt sehr zum Nachdenken an. Unsere Aufgabe wäre es, Jugendliche dazu zu bekommen, den Film mit offenen Augen zu schauen. Das Problem ist, den Film mit einer Gruppe, die alle eine gehärtete Meinung zu Homosexualität haben, anzusehen, weil diese Gruppendynamik ein echtes Hinsehen nicht erlaubt.

Vielen Dank, Olad, für das interessante und aufschlussreiche Gespräch.

Mehr Infos unter www.oladaden.com

[red_box]DVD-Fakten:
Format: Dolby, PAL, Widescreen
Sprache: Deutsch (Dolby Digital 5.1), Englisch (Dolby Digital 5.1)
Untertitel: Deutsch, Französisch, Italienisch
Region: Region 2
Bildseitenformat: 16:9 – 2.35:1
Anzahl Disks: 1
FSK: Freigegeben ab 12 Jahren
Studio: DCM (Vertrieb Universum Film)
Erscheinungstermin: 25. August 2017
Produktionsjahr: 2016
Spieldauer: 107 Minuten[/red_box]

Markus

Vater, Fotograf, Blogger, Medienmensch, alles eher autodidaktisch, aber alles mit ganz viel Leidenschaft. Ist auch bei Twitter & Instagram unterwegs. Natürlich kann man mir auch bei Facebook folgen. Zusätzlich blogge ich auf markusroedder.de über Dinge, die hier keinen Platz finden.

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