Es wäre nichts so wie es ist, wär‘ es damals nicht gewesen wie es war.
Cora E. / Schlüsselkind
Heute werden fertige Beats mal eben per Mail verschickt, irgendwo auf dieser Welt nimmt jemand auf einen von diesen Beats seine Raps auf und innerhalb von weiteren Sekunden steht der fertige Track im Netz und kann somit von Millionen Usern gehört werden. Ganz grob gesagt und zeitlich runtergerissen. Ein eventuelles Video dazu ist vielleicht nicht ganz so schnell fertig, steht aber nach Fertigstellung ebenfalls Millionen Menschen zur Verfügung.
Das dies nicht immer so war und wie das damals generell im deutschsprachigen Rap ablief, darüber haben Davide Bortot und Jan Wehn schon vor einiger Zeit ein echt interessantes Buch geschrieben, in dem ein großartiger Blick auf die Geschichte der Rapmusik aus Deutschland geworfen wird.
Das längst überfällige Standardwerk zur Geschichte des Deutschrap.
Casper
Rap-History
Abgehandelt wird bei weitem nicht alles, denn dann wäre dieses Buch vermutlich wesentlich dicker, aber es gibt viele einzelne Geschichten und Auszüge von Erlebnissen diverser Künstler*innen und von Menschen aus den Medien.
Es ist wunderbar geschrieben und man kann ganz entspannt in die Historie des deutschen Rap eintauchen. Von „oh, das ist ja interessant“ bis hin zu „stimmt, daran erinnere ich mich auch noch“ ist alles dabei. Besonders interessant fand ich die Anfänge und Entwicklung und wie die jeweiligen Aktivisten diese wahrgenommen haben.
Was für eine wahnsinnige Zeitreise!
Marteria
Was mir persönlich besonders gut gefallen hat? Dass die beiden Autoren nicht nur aus Ihrer Sicht das Erlebte schreiben und die deutsche Hip Hop Geschichte aufarbeiten, sondern dass sie diese vielfältigen und spannenden Geschichten von vielen, vielen Menschen zusammengetragen haben. Definitiv viel Arbeit, die sich aber wirklich gelohnt hat.
Dabei ist es zum lesen des Buches völlig egal, ob man totaler Hip Hop Nerd ist, oder jemand, der mit dem Thema Rap in Deutschland bisher so gut wie nichts zu tun hatte – es ist verständlich für jeden Interessierten geschrieben. Die zu Wort kommenden Personen sind größtenteils nahezu jedem bekannt und auch auf „Szene-interne Slangausdrücke“ wird weitestgehend verzichtet.
Für mich ist dieses Buch eine Pflichtlektüre für jeden Fan von Deutschrap, völlig egal ob man lieber Blumentopf und Freundeskreis oder doch eher Westberlin Maskulin und Aggro Berlin feiert, ob ihr mehr Deichkind oder doch MC Basstard hört (oder gehört habt), in diesem Buch geht es um eben das, was wir lieben. Und das ist schlicht Rap-Musik aus Deutschland.
Blick ins Buch
Wer kommt alles zu Wort?
Diese Liste ist echt lang. Geschichten gibt es von den Superstars von heute und den Protagonisten der Pionierzeit: Afrob, Ahzumjot, Akim Walta, Ali As, André Langenfeld, André Luth, Antilopen Gang, Aphroe, Audio88 & Yassin, Azad, babakONE, Bartek, Beat Gottwald, Beginner, Blokkmonsta, Bonez MC, Casper, Celo & Abdi, Chefket, Cora E., Cro, Curse, Dani Fromm, David P., Dendemann, Dexter, DJ Derezon, DJ Ron, DJ Tomekk, Dokter Renz von Fettes Brot, Eko Fresh, Elvir Omerbegovic, Falk Schacht, Falkadelic von Doppelkopf, Farid Bang, Fatma Aydemir, Fatoni, Felix Brummer von Kraftklub, Flipstar, Frauenarzt, Götz Gottschalk, grim104, Haiyti, Hiob, Jack Orsen, Jayo, Juicy Gay, K.I.Z, Kaete, Katmando, KitschKrieg, Kool Savas, Kryptik Joe von Deichkind, Kurt Prödel, Lakmann, LGoony, Mädness, Marc Leopoldseder, Marcus Staiger, Marteria, Martin Stieber, Max Herre, Max Mönster, MC Bogy, MC Rene, Megaloh, Melbeatz, Morlockk Dilemma, Moses Pelham, Murat Aslan, Nura, Olli Banjo, Peter Fox, Pillath, Prinz Pi, Ralf Kotthoff, Ralf Theil, Rick Ski, RIN, Roe Beardie, Rooz, Sabrina Setlur, Salwa Houmsi, Samy Deluxe, Schivv, Schowi, Sebastian Schweizer, Sepalot, Shindy, Sido, Smudo von Die Fantastischen Vier, Sookee, Stephan Szillus, STF, Summer Cem, The Krauts, Tobi Tobsen, Toni-L, Trettmann, V.Raeter, Visa Vie, Wasi, Xatar.
Somit bekommen wir eine illustre Ansammlung von Künstlern, die allesamt Geschichte geschrieben haben. Jeder für sich. Warum relevante Artists wie zum Beispiel Torch, Bushido oder Fler fehlen, konnte man schon in diversen Portalen nachlesen. Bushido hatte in der Entstehungszeit des Buches ganz andere Dinge im Kopf, Torch hat seine Sicht der Geschichte jetzt schon wirklich oft genug erzählt und warum Fler das über drei Stunden lange Interview dann doch nicht freigegeben hat, ist mit einem Satz erklärt: Ihm hat das Konzept nicht ganz gefallen. Aha.
Wenn es die Geschichten der eben genannten Künstler aber auch noch ins Buch geschafft hätten, wenn die neuen Artists wie Captial Bra oder Ufo361 auch noch ihre Geschichten erzählten hätten, oder wenn garantiert spannende Geschichten aus dem Hause Distributionz erzählt worden wären, glaubt mir, das Buch wäre mindestens doppelt so dick. Und es gibt ja noch viel mehr Künstler, die hier nicht zu Wort kamen, aber genau so relevant sind, aber vielleicht gibt’s da ja noch mal einen Teil 2… Es gibt noch viel mehr Geschichten zu erzählen, da bin ich mir sicher!
Hören!
Was absolut zu empfehlen ist: Alte Platten oder Mixtapes beim lesen hören, passend zu den jeweiligen Kapiteln hat man bestimmt so einiges im Regal stehen. Oder man nimmt gleich das von DJ Ron und DJ Shusta passend zu Buch aufgenommene Mixtape „Eine Mixtape History des deutschen Rap“ hinzu.
Die beiden liefern nämlich mit diesem Tape – ja, wirklich auf Kassette – den passenden Soundtrack zum Buch.
Hören:
Natürlich deckt auch dieses Tape, wie auch das Buch, längst nicht alles ab, was es in den letzten Jahrzehnten so in Sachen Deutschrap gab, aber auch hier bekommt man einen wunderbaren Eindruck in das Geschehen damals, zwischendurch und heute. Dazu gehe ich aber in einem separaten Beitrag drüben im Dinge-Blog ein.
Das Tape:
Die History-Playlist!
Immer wieder gefordert und fast genau so oft versprochen: Die Playlist zum Bestseller, direkt von Davide und Jan. 200 Songs, über 13 Stunden Geschichtsunterricht zum Thema Deutschrap, allerdings ohne Chronologie.
Keine strikte Chronologie. Kein Best Of. Und schon gar kein Anspruch auf Vollständigkeit. Einfach bisschen Mucke zum Lesen und Nachfühlen, warum es heute nicht so wäre, wäre es gestern nicht gewesen, wie es war.
Davide Bortot & Jan Wehn
Buch-Fakten:
Broschiert: 464 Seiten
Verlag: Ullstein fünf; Auflage: 4. (22. Februar 2019)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3961010188
ISBN-13: 978-3961010189
Größe und/oder Gewicht: 13,4 x 4,5 x 20,5 cm
______
Dir gefällt dieser Beitrag? Da ich im ZoomLab auf nervende Werbebanner und Co. verzichte, freue ich mich immer über eine kleine Spende. Ihr dürft mir, wenn Ihr wollt, gerne einen Kaffee, eine Mate oder sonstiges via Paypal spendieren! Danke!